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Seit 1900 familiär geführt

Bis 1854 Gasthaus "Zum weißen Ross"

Mit der Stadtgründung erlangte Neukirchen 1351 das Stadt- und Marktrecht, womit auch Auflagen und Abgaben aus der Brau- und Schankgerechtigkeit verbunden waren. Graf Gottfried VII. und dessen Sohn Gottfried VIII. zu Ziegenhain dienten die steuerlichen Abgaben aufgrund des Bierbrauens zum Bau der Stadttore bzw. der Stadtmauer und zur Sicherung ihrer Interessen im Raum Ziegenhain.

Das Brauen und Versellen (Verzapfen, Ausschenken) von Bier hatte zusätzlich weitreichende Folgen. Bier bzw. Alkohol waren nicht nur Nahrungs- und Genussmittel, sondern hatten auch medizinische Bedeutung. Bier durfte nur von Neukirchener Bürgern im städtischen Brauhaus unter Anleitung und der Aufsicht eines Braumeisters und Mithilfe von zwei Brauknechten gebraut werden. Bürger war, wer ein Haus besaß. Die brauberechtigten Bürger mussten zum Brauen geeignete Gerste vorrätig halten, Hopfen, Hefe und Wasser sowie eine für das Brauen festgesetzte Gebühr (Pfannengeld, Akzise) bezahlen und konnten dann an einem durch das Braulos bestimmten Tag ihr eigenes Bier brauen. So braute anfänglich fast jeder Neukirchener Bürger selbst sein Bier, was aber bei Missernten nicht mehr möglich war. Dadurch nahm die Zahl der Brauenden ab, weil nur wenige diese Auflagen erfüllen konnten. Die Brauer waren zudem verpflichtet, ein Teil ihres Bieres an die Schankwirte abzugeben. Wirt wurde man, indem man eine Schankkonzession bei Erfüllung bestimmter Bauauflagen beantragte.

Historisch

Die beiden Bürgermeister (Konsul und Prokonsul), Stadträte, Metropolitan (1. Pfarrer), Diakonus (2. Pfarrer), Stadtrechner u.a. städtische Beamte bzw. Stadtdiener hatten ein oder zwei Braufreilose pro Jahr, d.h. ihr Bier war ein Teil ihrer Besoldung. Die Brautage wurden im Voraus für das jeweils folgende Jahr bestimmt (ausgelost).

Neben der Bierschankkonzession gab es eine Branntwein- und Weinschankkonzession als zusätzliches Privileg. Branntwein wurde in Neukirchen nicht gebrannt, sondern von auswärtigen Kleinhändlern eingeführt. Deren Einfuhr unterlag aufwändigen Kontrollen und steuerlichen Abgaben. Die Bedeutung und Zahl der Schank- und Branntweinschankwirtschaften wuchs mit zunehmendem Bier- und Branntweinkonsum.

Das Hotel "Zur Stadt Cassel" liegt außerhalb der Stadtmauer vor dem ehemaligen Treysaer Stadttor an der für Neukirchen wichtigen Niederrheinischen Straße, einem alten Verbindungs- und Handelsweg quer durch Deutschland zwischen Hersfeld und Treysa. Über die Anfänge aus frühester Zeit als Schank- und Herbergierungswirtschaft sind keine Unterlagen vorhanden. Die Anfänge liegen weit vor dem Siebenjährigen Krieg liegen, da das damalig "Zum weißen Ross" genannte Gasthaus neben deutschen Weinen französische Weine ausschenken durfte. Die Weinschankkonzession besaß in Neukirchen nur noch eine weitere Schankwirtschaft unter den damals mehr als 12 Schankwirtschaften, d.h. im "Zum weißen Ross" verkehrte Publikum der gehobenen Neukirchener Gesellschaftsschicht.

Der Riebelsdorfer Fahrbürger und Gastwirt Johannes Weil ist der erste nachweisliche Inhaber des Gasthauses "Zum Weißen Ross", danach sein Sohn Johannes (Clos) Henrich und anschließend sein Enkel Justus Weil. 1834 erwirbt der Kaufmann Jacob Roß das Gasthaus von Justus Weil, der es zwangsweise verkaufen musste. Es zählt zu den älteren und renommierteren Gaststätten in Neukirchen und wurde 1854 unbenannt in Gasthaus "Zur Stadt Cassel". Diese Umbenennung erfolgte nach dem großen Stadtbrand, dem ein Drittel aller Häuser zum Opfer fiel. Hier wurden die Pferde der Postkutschen gewechselt, die die Post nach Kassel beförderten. Vorn links neben der Hofeinfahrt befand sich der sogenannte Ausspannstall, der neben den Postkutschpferden auch den Pferden der mit Fuhrwerken oder Kutschen ankommenden Gäste diente.

Am 6. Mai 1874 stellte Heinrich Roß ein Gesuch stellte, ihm die Konzession für die Gastwirtschaft seines Vaters Jacob Roß zu übertragen und gleichzeitig die Steuern wegen abnehmenden Besuchs der Gaststätte herabzusetzen. Heinrich Roß galt damals als Gutsökonom und Gasthalter und war der größte Landwirt in der Stadt. Die Gastwirtschaft betrieb er im Nebenerwerb. Er schrieb damals: "Da mein Vater die Gastwirtschaft nicht mehr selbst betreibt, erscheint mir der angesetzte jährliche Gewerbesteuerbetrag von 6 Talem zu hoch gegriffen, weil bei mir die Gastwirtschaft seit der Obemahme derselben bedeutend an Frequenz abgenommen hat. Ich bitte, mir die Gestattung zum Fortbetrieb der Gastwirtschaft meines Vaters erteilen und gleichzeitig die Herabsetzung der zu zahlenden Steuern ermäßigen zu wollen."

Gleichzeitig schreibt sein Vater Jacob Roß Folgendes: "Der Unterzeichnete, Jakob Roß, bittet um Oberschreibung der Konzession zur Gastwirtschaftsführung auf seinen Sohn Heinrich Roß. Durch den großen Brand 1854 habe ich bei dem Wiederaufbau meine Einrichtungen getroffen, die nötigen Lokale zur Gastwirtschaftsführung so einzuteilen, daß es einem Landstädtchen wie Neukirchen entsprach, allgemein Beifall gefunden, und die Bedienung der Fremden so viel wie möglich habe ausführen lassen. Hoffe, daß dies auch an meinem Sohn geschehen wird."

Aus Verkaufslisten der Neukirchener Gaststätten in dieser Zeit geht hervor, dass das Gasthaus "Zur Stadt Cassel" auch die Branntwein- und Weinschankkonzession besaß, um auch gehobenen Ansprüchen gerecht werden zu können. Am 5. Oktober 1900 starb Heinrich Roß. Am23.5.1902 waren der Witwe Roß noch ein Pferdestall und eine Deckstation vom Hessischen Landgestüt genehmigt worden. Im folgenden Jahr bat sie jedoch dem Antrag ihres Sohnes auf Übertragung der Wirtschaftskonzession stattzugeben, der am 28. Oktober 1903 die Schankkonzession beantragt hatte. Witwe Roß schrieb damals am 2. Dezember 1903 folgenden Antrag: "Das Anwesen des Gutbesitzers und Gastwirts, Heinrich Roß, Wohnhaus mit Gastwirtschaft und Schankwirtschaftsbetrieb, Hofreite und Land, Niederrheinische Straße Nr. 214 [=später Kurhessenstraße 56], habe ich, da mein Mann am 5. Oktober 1900 gestorben ist, und ich aus Gesundheitsrücksichten mich durch die Führung überbürdet fühle, meinem Sohn Heinrich Roß übergeben. Ich bitte Königliches Landratsamt, demselben die Konzession zur Gastwirtschaft und Schankwirtschaft erteilen zu wollen."

Bürgermeister Weber und die Magistratsmitglieder Hofmann, Spohr und Krauß befürworten am 9. Dezember 1903 den Antrag wie folgt: "Die zum Gastwirtschaftsbetrieb bestimmten Räume entsprechen wegen ihrer Lage und Beschaffenheit den polizeilichen Anordnungen und genügen denselben. Das Fortbestehen der Gastwirtschaft ist ein Bedürfnis, weil dieselbe für den Aufenthalt und für das Logieren des fremden besseren Publikums dient und Fremdstallung genügend vorhanden ist. Die Übertragung der Konzession kann von uns für nur befürwortet werden."

Die Übertragung wurde am 23. Januar 1904 durch den Vorsitzenden des Kreisausschusses von Schwertzell genehmigt. Der Gutsbesitzer und Oekonom George Heinrich Roß war somit Besitzer vom Gasthaus "Zur Stadt Cassel" geworden. Er besaß seinerzeit den größten landwirtschaftlichen Betrieb in Neukirchen. 1891/92 gab es in Neukirchen 136 landwirtschaftliche Betriebe, 82 Pferde und Fohlen und 441 Stck. Rindvieh.

Eine kleine Anekdote gehört in diese Zeit. Man erzählte gern folgende Geschichte bezüglich der nahen, gegenüber liegenden Gaststätte "Zum Weinberg". Leute machten sich einen Spaß und liefen abends im Dunkeln mit einem Pferdeschlittengeläut im Trab am Gasthaus "Zum Weinberg" vorbei, sodass man dort annahm, ein möglicher Gast sei mal wieder bei ihm vorbeigefahren und in Stadt Cassel ("bei Rosses") eingekehrt.

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Erwerber des von Heinrich Roß geführten Gasthauses und landwirtschaftlichen Guts war der Land- und Gastwirt Karl Heinz Merz. Er war mit seinem Stiefvater Fritz Merz und Mutter Maria aus der Burgtorgasse in die Kurhessenstraße gewechselt und hatte dort als junger Mann den landwirtschaftlichen Betrieb und die Gastwirtschaft übernommen.

Zum Gasthaus "Zur Stadt Cassel" gehörte bis Ende der 1950er Jahre die Deckstation des Hessischen Landgestüts Dillenburg. Während der Decksaison im Frühjahr wohnten zwei Gestütswärter mit im Haus, die die Deckhengste und den Deckbetrieb von zum Schluß immerhin noch 30-40 Stuten jährlich betreuten. Mit dem Rückgang der Deckzahlen übernahm die Deckstation Ziegenhain die Neukirchener Hengste.

Auch in den Anfängen des Neukirchener Fremdenverkehrs ab 1954-56 mit der Fertigstellung des Waldsanatoriums spielten die Pferde eine Rolle. Gästen des Sanatoriums wurden Mitte der 1960er Jahre spezielle Kutsch- und Schlittenfahrten ab der Burgtorgasse auf den Biegenberg und Alsfelder Berg angeboten. Im Gasthaus wurden erhebliche Renovierungen und Modernisierungsmaßnahmen vorgenommen, womit die Voraussetzungen für ein 3-Sterne-Hotel erfüllt wurden. Der Park hinter der Scheune, der Biergarten sowie das Kaffee- und Kuchenangebot erfreuten sich gleichzeitig zunehmender Beliebtheit. All dies führte zu steigenden Besucher- und Übernachtungszahlen. Kleinbusse übernahmen den regelmäßigen Transport der Sanatoriumsgäste an zwei Wochentagen, die gern ins Gasthaus zum Kaffeetrinken kamen.

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